Brunnengeschichten

Es folgen 3 schöne Geschichten in denen Brunnen eine wichtige Rolle spielen.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und gute Unterhaltung!

Vom Mönch und dem Brunnen

Eine sehr gute Möglichkeit, gelegentlich dem Stress zu entfliehen, besteht darin, bewusst die Stille zu suchen. Durch die Stille werden die Gedanken ruhiger, man kommt wieder runter und sieht Dinge danach oft klarer. Dazu eine kleine Geschichte, die es auf den Punkt bringt: Eines Tages kamen zu einem einsamen Mönch einige Menschen. Sie fragten ihn: „Was für einen Sinn siehst du in deinem Leben der Stille und Meditation?“ Der Mönch war mit dem Schöpfen von Wasser aus einem tiefen Brunnen beschäftigt. Er sprach zu seinen Besuchern: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr?“ Die Leute blickten in den tiefen Brunnen: „Wir sehen nichts!“ Nach einer kurzen Weile forderte der Mönch die Leute erneut auf: „Schaut in den Brunnen! Was seht ihr jetzt?“ Die Leute blickten wieder hinunter: „Ja, jetzt sehen wir uns selber!“

Der Mönch sprach: „Nun, als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig. Jetzt ist das Wasser ruhig. Das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation: Man sieht sich selber! Und nun wartet noch eine Weile.“ Nach einer Weile sagte der Mönch erneut: „Schaut jetzt in den Brunnen. Was seht ihr?“ Die Menschen schauten hinunter: „Nun sehen wir die Steine auf dem Grund des Brunnens.“ Da erklärte der Mönch: „Das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation. Wenn man lange genug wartet, sieht man den Grund aller Dinge.“

Autor unbekannt

Der Brunnen – eine wahre Geschichte aus Überlingen

Es begab sich zu jener Zeit, da saßen während eines Gassenfestes zwei ältere Burschen zusammen bei Bier und Wein und dachten über den Sinn des Lebens nach: „Ach, wie schön wäre es“ sagte der eine, „wenn es mir zu Lebzeiten vergönnt wäre, für unsere schöne Stadt einen stattlichen Brunnen zu errichten, aus Rorschacher Sandstein, an einem trefflichen Platz aufgestellt, zur Freude der Überlinger Bürger und gedacht für die Ewigkeit …“ Es war Riccardo der Steinmetz, der seinem Traum freien Lauf ließ. „Ach ja“, meinte der andere im Angesicht des Hänselebrunnens unter dem sie saßen „und wenn wir Schwertletänzer den Brunnen für ein paar Tage zum Promenadenfest mit an den See nehmen könnten, einen Brunnen, aus dem richtiger Wein fließt. Das stünde der Zunft der Rebleute doch gut zu Gesicht“. Es war Dirk, der die Bildhauerei zum Zeitvertreib betrieb und im richtigen Leben Pillen drehte. So saßen die Burschen da und tranken Bier und Wein und insgeheim spannen sie ihre Ideen weiter. Der Funke muss wohl übergesprungen sein, vom einen zum anderen und vom anderen zum einen. Gemeinsam war ihnen klar: Es galt, eine Brunnenfigur zu schaffen - einen zünftigen Schwertletänzer - damit endlich alle Überlinger, die niemals die Schwedenprozession miterlebt hatten, eine Vorstellung davon bekamen, wie ein richtiger Schwertletänzer überhaupt aussieht. Sie mussten sich sputen, stand das Promenadenfest doch vor der Tür. Einen dritten weihten Sie in ihre geheimen Pläne noch ein: Peter, der Custos des Museums, der sich trefflich auf das Schreinerhandwerk verstand: Ein Modell war schnell entworfen und die Firma PUREN stiftete einen riesigen Block, aus dem heraus das Werk entstehen sollte und so machten sie sich hurtig an die Arbeit. Sie zeichneten und sägten, sie hieben und schnitten, sie feilten und schliffen und wenn sie müde waren legten sie sich zu Ruhe … und ehe sie sich versahen, war die Arbeit getan und der Brunnen vollendet. Mit Trommeln und Pfeifen wurde das Kunstwerk enthüllt.

                              

Echter Überlinger Wein sprudelte aus den Speiern heraus und alle Leute freuten sich und labten sich am köstlichen Nass. Selbst die Oberbürgermeisterin tanzte vor Freude mit dem 1. Platzmeister der Schwerttanzkompanie einen Hopswalzer. „So soll es bleiben bis zum St. Nimmerleinstag“ riefen alle, saßen zusammen und tranken Wein und waren glücklich bis zu ihrem Lebensende … und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute!

Autor unbekannt

Der alte Brunnen

Vor langer Zeit lebte einmal ein Mädchen namens Arinia mit seiner Mutter und Großmutter am Rande eines Dorfes. Vater und Großvater der Familie waren schon vor Zeiten gestorben und so lebten die drei in großer Armut von dem wenigen, was ihnen gute Näharbeiten für die Bewohner der umliegenden Dörfer einbrachten. Doch sie verzagten nicht wegen ihres schweren Schicksals und lebten trotz aller Armut glücklich miteinander. Sie wohnten in einem verfallenen Häuschen, neben dem ein alter Brunnen stand. Von dort holten nur die drei ihr Wasser, denn für die anderen Bewohner im Ort war der Dorfbrunnen am großen Platz viel näher. Eines Sommertages, als das Kind gerade zehn Jahre alt war, lief es mit einem Eimer zum Wasserholen. Als es am Brunnenschacht sein Gefäß am quietschenden Gewinde hinabließ, war statt des Aufklatschens auf das Wasser, ein harter Aufschlag zu hören, als ob der Eimer auf den Boden fiel. Das Mädchen stutzte. Der Brunnen konnte nicht ausgetrocknet sein. Der Eimer war längst nicht so tief hinuntergelassen, wo er sonst immer die Wasseroberfläche erreichte. Angestrengt schaute Arinia in den Schacht. Unten schien sich irgendein Glitzern zu befinden, doch sie konnte nichts Genaues erkennen. Von der Wasseroberfläche konnte es nicht kommen. Der Eimer war eindeutig auf harten Grund geprallt. Arinia überlegte kurz, ob sie die Mutter holen sollte. Doch seit dem Tod von Vater und Großvater war sie es gewohnt, selbst nach dem rechten zu sehen, ohne gleich Hilfe zu erbitten. So fasste sich Arinia ein Herz und besah sich den Brunnenschacht. Er schien nicht besonders tief zu sein, war eng und recht unregelmäßig. Es müsste eigentlich ein Leichtes sein, am Seil nach unten zu klettern und nachzuschauen. Sie war sehr geschickt darin, besser noch als die meisten Jungen aus dem Dorf. Sie stieg über das Mäuerchen und ließ sich dann mit Hilfe des Seiles in den Brunnenschacht hinunter. Wenig später sah sie im Dämmerlicht, wo ihr Eimer aufgeschlagen war. Arinia war verblüfft. Auf der Wasseroberfläche befand sich eine glatte Eisschicht. Eis, mitten im Sommer!? Vorsichtig stellte sich Arinia auf die Oberfläche und prüfte ihre Festigkeit. Als sie merkte, dass das Eis dick genug war, um sie zu tragen, ging sie auf die Knie und befühlte das gefrorene Wasser mit ihren Händen. Es war kalt und makellos glatt, wie die Scheibe eines Fensters. Trotz der Hitze draußen schien es gar keine Anstalten zu machen, zu schmelzen. Irgendetwas Merkwürdiges geschah hier. Doch was sollte Arinia tun? Sie brauchte Wasser für die Familie. Dicht unter der Eisfläche sah sie sogar einige Fische ihre Kreise drehen. Ungläubig und ratlos schüttelte sie den Kopf und beschloss, die Mutter um Rat zu fragen. So kletterte sie wieder am Seil hinauf und lief eilig ins Haus. Ihre Mutter war allein in der Küche. „Mama, Mama! Der Brunnen ist zugefroren! Und das mitten im Sommer! Irgendetwas Sonderbares passiert dort unten!“ Die Mutter drehte sich um und schien sich an etwas zu erinnern. „Ach Gott, ist es schon wieder soweit!“ Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl und winkte das Mädchen zu sich. „Komm einmal her zu mir. Es gibt etwas, das du nicht weißt.“ Artig kam Arinia herbei und setzte sich auf ihre Knie. Zärtlich streichelte die Mutter durch ihr Haar. "Es ist kein gewöhnlicher Brunnen, den wir hier draußen haben. Es ist nämlich so, dass das Wasser in dem Brunnen aus einem unterirdischen See kommt. Und in dem See, da wohnt ein Wassermann.“ Überrascht riss Arinia die Augen auf und lauschte gespannt weiter. „Dieser Wassermann stört uns nicht, wenn wir ihn nur in Ruhe lassen. Daher bist du ihm auch noch nie begegnet. Alle sieben Jahre aber, kurz nach dem Mittsommertag, reist der Wassermann zum König aller Wasserwesen, um diesem seinen Tribut zu zahlen. So wie wir unsere Tür verriegeln, wenn wir in der Stadt unsere Näharbeiten verkaufen, so verschließt auch der Wassermann seine Tür. Sein Schloss ist die Eisfläche, die er über das Wasser zieht, bevor er weit weg zum Wasserkönig schwimmt, damit niemand Unbefugtes in sein Reich eindringen kann.“ „Und, ... und wie kommen wir wieder an unser Wasser?“ Die Mutter ging zum Küchenschrank, öffnete ein kleines Fach und nahm einen ledernen Beutel heraus. Sie reichte ihn dem Mädchen. Neugierig schaute es hinein.

                                                                            

Es enthielt eine ganze Menge roter Steinchen. „Unsere Familie hat schon seit langer Zeit eine Abmachung mit dem Wassermann. Er ist stets drei Tage fort. Am vierten aber dürfen wir so ein Steinchen nehmen und einfach auf die Eisfläche werfen. Im gleichen Moment taut das Eis. Doch das ist uns erst am vierten Tag erlaubt, wenn der Wassermann wieder da ist. Bis dahin müssen wir zum Brunnen im Dorf gehen und dort Wasser holen. Jetzt lauf, Arinia!“ Arinia konnte es kaum fassen, als sie unterwegs ins Dorf war. Ein echter Wassermann in ihrem alten Brunnen! Das war ja eine Überraschung! Ob sie diesen einmal zu Gesicht bekommen würde? Obwohl, die Mutter hatte ein wenig so geklungen, als ob mit diesem Wassermann nicht gut Kirschen essen wäre. Vielleicht wäre es besser, ihm nicht zu begegnen. Am nächsten Tag ging Arinia wieder zum Wasser holen. Zuerst wollte sie auf direktem Weg zum Dorfbrunnen gehen, doch dann interessierte sie es doch, was aus dem Eis auf dem alten Wasserloch geworden war. So schlich sie sich heimlich, trotz des Verbotes der Mutter, zum alten Brunnen und ließ den Eimer dort hinab. Wie am Vortag schlug er hart auf der Eisoberfläche auf und wie am Vortag siegte in dem Mädchen die Neugier und es stieg nochmals in den Schacht hinab. Angestrengt betrachtete es die Eisfläche. Ihre glatte Regelmäßigkeit faszinierte Arinia. Die Oberfläche wirkte in der Tat wie von magischer Hand gemacht. Sie war sehr massiv und trotzdem nicht sonderlich dick, da man direkt unter der Oberfläche eine Reihe von kleinen Fischen unter dem Eis erkennen konnte. Sie schienen nach oben zu schauen und einen Moment taten sie dem Mädchen ein wenig leid, dass sie der Wassermann wegen seiner Reise einfach eingesperrt hatte. Früher waren Arinia nie Fische im Brunnenschacht aufgefallen. Nach einer Weile riss sie sich von diesem Anblick los und stieg eilig wieder den Schacht hinauf. Ihre Mutter wartete doch auf das Wasser! Wie der Wind rannte sie zum Dorfbrunnen und füllte dort den Eimer. Doch nach getaner Arbeit wollte sie unbedingt zur Großmutter gehen. Diese wusste immer so viel, kannte eine Menge Geschichten. Bestimmt konnte sie noch mehr von dem Wassermann berichten. Artig half Arinia der Mutter noch beim Essenkochen und holte Feuerholz, dann entließ die Mutter sie zum Spielen und das Mädchen ging in die kleine Wohnstube, wo die Oma bei einer Näharbeit saß. Arinia liebte ihre Großmutter sehr. Sie wusste immer eine Geschichte oder etwas Spannendes aus längst vergangener Zeit zu erzählen. Es würde ein Leichtes sein, ihr alles über den Wassermann zu entlocken. So sprach sie die Großmutter gleich auf den vereisten Brunnen, den Wassermann und die Zaubersteine an und erzählte ihr alles, was sie am Vortag von der Mutter gehört hatte. Aufmerksam lauschte ihre Großmama und begann dann zu sprechen. „Wie immer hat deine Mama dir alles richtig erzählt, aber wie so oft hat sie den Teil der Geschichte, der dir vielleicht Angst machen könnte, lieber weggelassen. Aber du bist doch kein Kindlein mehr. Also, komm hier zu meinem Stuhl, damit ich nicht so schreien muss, und höre mir zu. Ich werde dir die ganze Geschichte über unseren Wassermann erzählen.“ Artig setzte sich Arinia der alten Frau zu Füßen hin und diese begann: "Der Wassermann lebt hier schon seit Menschengedenken, ebenso wie unsere Familie, die schon seit vielen Jahrhunderten in diesem Häuschen wohnt. Doch der Brunnen entstand erst viel später. An seiner Stelle lag bis zu der Zeit, als meine eigene Großmutter noch ein kleines Mädchen war, ein See, in dem der Wassermann wohnte. Unser Haus stand inmitten einer mächtigen Burg, die direkt am Wasser erbaut wurde. So hat es mir meine Großmama erzählt und ich gebe es nun an dich weiter. Diese Festung gehörte einem großen Ritter und seiner Frau, die zusammen sieben Kinder hatten. Unsere Vorfahren dienten diesem Ritter und seiner Familie als Wächter und Küchenmägde. Wie wir heute, hatte der Ritter mit dem Wassermann ein Abkommen. Wenn keiner der Menschen in seinen See eindringen würde, blieben auch die Burgbewohner unbehelligt. Doch der älteste Sohn des Ritters war ein vorwitziger Kerl. Als er dachte, dass ihn niemand beobachtete, sprang er in den See und tauchte dort zum Grund. Er wollte wissen, ob der Wassermann etwas zu verbergen hatte. Denn weshalb sollte er sonst das Schwimmen im See verbieten? In der Tat fand der Rittersohn auf dem Grund ein Goldstück, nahm es an sich und wollte gerade damit auftauchen, als plötzlich der Wassermann vor ihm stand. Er hatte den Diebstahl bemerkt und war außer sich vor Wut.

        

Er riss ihm das Goldstück aus der Hand und schleuderte den Eindringling mit einem mächtigen Hieb aus dem Wasser. Er war so böse, dass er den Ritter und seine Familie verfluchte. Im gleichen Augenblick riss der Boden auf und die Burg versank mit allen Bewohnern unter der Erde. Nur die Kinder des Ritters überlebten das Unglück, da sie der Herrscher des Sees zuvor mit hinunter in sein Reich zog, in dem sie ihm bis zum jüngsten Tag dienen müssen. Der See jedoch verschwand ebenfalls im Erdreich. Nur Loch blieb zurück, das jetzt unser Brunnen ist.“ Arinia dachte eine Weile über die Geschichte nach, bevor sie fragte: „Aber Oma Wenn die Burg mit allen darin unter die Erde gezogen wurde, warum steht dann unser Haus noch hier? Warum sind deine Oma und ihre Eltern nicht gestorben?“ „Da haben wir nur eine Vermutung. Die roten Zaubersteinchen, die dir Mama in der Küche gezeigt hat, waren damals schon im Besitz unserer Familie und befanden sich in unserem Haus. Man sagt, sie durchbrechen auch die Macht böser Magie. Das könnte der Grund gewesen sein, weswegen unser Haus als einziges verschont wurde und nicht mit der alten Burg untergegangen war. Aber genau weiß es niemand. Auf jeden Fall durchbrechen die Steinchen alle sieben Jahre nach der Rückkehr des Wassermanns seine Eisbarriere, der sonst kein Werkzeug etwas anhaben kann.“ „Warum zerbrechen wir das Eis denn nicht früher?“ „Erst am vierten Tag dürfen wir es tun, da der Wassermann immer drei Tage unterwegs ist. So hat es mein eigener Großvater selbst mit ihm vereinbart. Alle im Dorf hatten nach dem Untergang der Burg große Angst und waren froh, dass man eine Regelung fand, mit der alle in Frieden weiterleben konnten. So lässt uns der Wassermann seit dieser Zeit in Ruhe, denn auch ohne magische Fähigkeiten ist er sehr stark und größer, als der kräftigste Mann in unserem Dorf. Und jetzt weißt du auch, warum unser Haus ein Stückchen abseits von den anderen steht. Aber viele im Ort glauben schon gar nicht mehr an den Wassermann und die Geschichte von der alten Burg wird für eine Legende gehalten. So schnell vergessen die Menschen halt.“ Als Arinia am folgenden Tag zum Wasser holen geschickt wurde, war sie immer noch ganz fasziniert von der Geschichte der Großmutter. Nie hätte sie gedacht, dass sich unter ihrem Haus ein so mächtiges Geheimnis verbarg. An der Wahrheit der Geschichte zweifelte sie keinen Moment, denn ihre Großmama wusste so ungeheuer viel über alte Zeiten und bisher hatte immer alles, was sie dem kleinen Mädchen erzählt hatte, der Wahrheit entsprochen. Arinia war immer begeistert von solchen Geschichten und, obwohl sie Angst vor dem Wassermann hatte, hätte sie ihn gerne einmal gesehen. Auch das magische Eis weckte ihr Interesse. Dennoch ging sie auch dieses Mal gehorsam direkt zum Dorfbrunnen und stellte anschließend den vollen Wassereimer in die Küche. Ihre Mutter war gerade auf dem Feld unterwegs und die Großmutter machte in der Schlafstube ein Nickerchen. Da reifte in dem Mädchen der Entschluss, doch noch einmal zu dem alten Brunnen zu gehen. Der Wassermann war ja noch auf seiner Reise und so konnte eigentlich nichts Schlimmes passieren. „Wobei, man weiß ja nie“, dachte Arinia und nahm vorsichtshalber den Lederbeutel mit den roten Steinchen aus dem Küchenschrank. Da sie Schutz vor dem Wassermann bieten sollten, war es wohl besser, sie mitzunehmen. So ging Arinia mit dem Beutel in ihrer Schürze zum alten Brunnen und nach einem kurzen Zögern stieg sie in den Brunnenschacht. Rein und makellos lag die Eisfläche noch immer unter ihr. Keine Blättchen, ja nicht einmal ein Staubkorn lag darauf. Unter dem Eis bemerkte das Mädchen wieder die Fische, die knapp darunter schwammen und zu ihr nach oben schauten. Fasziniert betrachtete sie ihre Bewegungen. Wenn sie beim Wassermann lebten, dann müssten sie ihn ja auch gut kennen. Da, sie schauten alle nach oben und irgendwie wirkten sie dabei tieftraurig. Vielleicht gehörten sie dem Wassermann und warteten auf die Rückkehr ihres Herrn? Oder fühlten sie sich doch eingesperrt, weil dieser Eisdeckel ihnen den Weg an die Oberfläche versperrte?Arinia hatte sogar das Gefühl, als wollten die Tiere ihr irgendetwas sagen. Alle fixierten sie mit ihren großen Fischaugen, stießen mehrmals von unten an die Eisdecke und ihre Münder gingen heftig auf und zu. „Was ist mit euch?“, fragte das Mädchen und beugte sich mit dem Kopf tiefer nach unten. So, als wollten sie Antwort geben, stießen die Fische noch fester und häufiger von unten an die Eisdecke und schwammen dabei ganz aufgeregt durcheinander. Arinia war nun ganz sicher. Die Fische wollten, dass sie die Eisdecke durchbrach, dass sie die Tiere an die Oberfläche ließ. Aber warum nur? Fische konnten doch nur unter Wasser leben? Oder hatte der Wassermann vielleicht vergessen, ihnen etwas zu fressen zu geben, bevor er zu seiner Reise aufgebrochen war? Arinia überlegte eine ganze Weile und schaute in ihren Lederbeutel. Eine ganze Menge roter Steinchen befand sich noch darin. Vielleicht sollte sie einfach nach oben steigen und eines hineinwerfen? Der Wassermann würde bei seiner Rückkehr ja nicht wissen, wer die Eisdecke durchbrochen hatte. Vielleicht wäre er sogar dankbar, wenn sie seine Fischchen füttern würde, so dass sie nicht während seiner Abwesenheit hungern mussten? Vielleicht war er aber auch böse? Arinia überlegte hin und her und betrachtete dabei die Steinchen. Dann stieg sie den Brunnenschacht wieder hinauf. Zuerst wollte sie einfach weggehen, doch dann fielen ihr die traurigen Blicke der Fische wieder ein und ihre panischen Versuche, das Eis zu durchdringen. Sie hatte solches Mitleid mit den kleinen Kerlen. Wie konnte der Wassermann sie nur so lange alleine lassen? Schließlich fasste sich das Mädchen ein Herz. Es holte aus dem Haus einen Kanten Brot und nahm eines der roten Zaubersteinchen in die Hand. Arinia wollte beides ganz schnell hinunter werfen und dann vom Brunnen verschwinden, so dass der Wassermann nicht herausfinden konnte, wer einen Tag vor der Zeit seine magische Eisbarriere zerstört hatte. Sie holte aus und warf Stein und Brot in den Schacht hinunter. Sie wollte gerade wegrennen, da hörte sie ein lautes Zischen von unten und dann Stimmen, Stimmen von Leuten und lautes Platschen, als wenn eine ganze Menge Menschen dort im Brunnen herumschwimmen würden. Ängstlich schaute Arinia nach unten. Was hatte sie nur getan? Da kletterte ein junger Mann am Seil des Eimers nach oben, ein älteres Mädchen folgte gleich hinter ihm. Als sie oben über den Brunnenrand kletterten, folgten weitere junge Leute Am Ende standen fünf Mädchen und zwei Jungen im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren vor Arinia.

                                                                            

Alle waren triefend nass und in altertümliche Kleider gehüllt. Nachdem sie etwas zu Atem gekommen war, begann das älteste Mädchen zu sprechen. „Liebes Kind! Danke, dass du uns vor dem bösen Wassermann gerettet hast! Schon so viele Jahre leben wir da unten in diesem Loch und müssen harte Arbeit für ihn tun! Wir sind die Kinder des Burgherren, die vom Wassermann vor vielen Jahren verschleppt wurden. Alle sieben Jahre ist er zu seinem König gereist. Damit wir nicht während seiner Abwesenheit ausrissen, verwandelte er uns immer in kleine Fische und verschloss den einzigen Ausgang seines Wasserreichs mit magischem Eis. Doch heute, als du das Eis zerstört hast, hast du auch seinen Zauber zerstört!“ Wie staunte Arinia, als sie das hörte. Doch sie dachte auch an den Wassermann. Was würde er nun tun, wenn seine Untertanen nach seiner Rückkehr verschwunden waren? Arinia hatte sich selbst, ihre Mutter, ihre Großmutter, ja das ganze Dorf in große Gefahr gebracht. Aber sie konnte diese Kinder doch nicht zurück in die ewige Dunkelheit schicken. Während sie gerade überlegte, was sie tun sollte, hörte sie ein Brausen aus der Ferne, das schnell lauter wurde. Wie eine Dampfwolke sauste etwas über die Felder heran. Arinia wusste sofort, das musste der Wassermann sein. Auch die anderen Kinder hatten das Geräusch bemerkt und blankes Entsetzen stand in ihren Blicken.„Was tun, was tun, was tun?“ Arinias Geist arbeitete fieberhaft. Auch sie hatte panische Angst. Dann spürte sie den Lederbeutel mit den Steinchen in ihrer Schürze. Nun würde sie erfahren, ob die Steine der Macht des Wassermanns widerstanden. „Kommt her!“, schrie sie den Kindern zu, das näherkommende und lauter werdende Brausen übertönend. Schnell liefen sie zu ihrer Befreierin. Diese streute eilig einen Kreis aus den roten Steinchen in die Wiese, groß genug, um alle Kinder aufzunehmen. Nur einen einzigen Stein hielt sie zurück. Dann trat sie in den Kreis und die anderen folgten ihr, gerade rechtzeitig, bevor der Wassermann neben dem Brunnen angekommen war. Er sah fürchterlich aus. Über zwei Schritte groß, mit breiten Schultern sah er aus, als ob er Bäume mit bloßen Händen ausreißen könnte. Seine Haut war blau und seine dunklen Augen funkelten in zorniger Boshaftigkeit. In der Hand trug er einen riesigen Dreizack. Er schrie, dass die Erde erzitterte: „Wer hat meine Diener befreit? Wer hat meine Barriere zerstört?“ und stampfte wütend von einem Bein auf das andere. Arinia wurde angst und bange. Dann ging er auf die Kinder zu, den Dreizack drohend auf sie gerichtet. Doch als dessen Spitze an den Rand des Steinkreises stieß, schien er gegen eine Wand zu prallen. Der Wassermann stutzte und stieß ihn in Richtung des ältesten Jungen. Erneut prallte der Dreizack ab, als wenn über den Steinen ein unsichtbares Hindernis bestehen würde. Wütend schrie der Wassermann auf. Ohrenbetäubend hallte sein Schrei durch das Land. Die kleineren Kinder hielten sich die Ohren zu und weinten vor Angst. Doch der jüngere der beiden Jungen, obwohl ebenfalls ängstlich, nahm all seinen Mut zusammen und tippte Arinia von hinten auf die Schulter. „Du hast doch noch so einen Zauberstein“, schrie er ihr ins Ohr, im verzweifelten Versuch, den Wassermann zu übertönen. Arinia nickte und zeigte dem Jungen den Stein in der ausgestreckten Hand. Dieser nahm ihn und sprach mehr zu sich selbst, zur eigenen Beruhigung: „Ich werfe am besten von uns“ Vor ihnen tobte immer noch der riesige Wassermann. Der Junge trat hinter ihm halb aus dem Kreis, um Platz zum Ausholen zu haben. Der Wassermann sah die Bewegung und wandte sich ihm wütend zu. Er zielte und warf mit voller Wucht den Stein auf die riesige Gestalt und traf direkt in ihren weit geöffneten Rachen. Einen Moment war der Mann still, der Stein verstopfte seinen Hals. Er würgte. Plötzlich erschien eine Rauchwolke, die ihn ganz einhüllte. Noch einmal hörte man ein ersticktes Brüllen, dann löste sich der Nebel auf und der Wassermann war verschwunden. Wie erstarrt warteten die Kinder ungläubig im Steinkreis. In diesem Moment ertönte ein großes Tosen, das von überall her zu kommen schien. Es schwoll an und die Erde zitterte, bebte. Aus dem Boden wuchs eine Mauer empor, Häuser und Türme folgten. Schließlich kam die alte Burg wieder an die Oberfläche und gruppierte sich um das Haus von Arinias Familie. Die Kinder standen am Ufer eines kleinen Sees, der sich an der Stelle des vorherigen Brunnens befand. Dann wurde wieder alles still.

                                              

Stolz ragten die Zinnen der Burgmauer empor, auch wenn sie noch teilweise mit Erde bedeckt waren. Die mächtige Festung stand wieder an ihrer alten Stelle, wo sie der Boden vor über hundert Jahren verschluckt hatte. In den nächsten Tagen war ein riesiges Getümmel im Dorf. Bis in die Nachbarorte war das Getöse hörbar und das Beben spürbar gewesen und nun kamen die Leute von nah und fern, um sich die wiedererstandene Burg zu besehen. Schließlich kam sogar der König ins Dorf, der von den Vorkommnissen gehört hatte und ließ sich persönlich von Arinia und den anderen Kindern das Wunder erzählen. Dann überlegte er kurz und setzte den jüngeren Sohn des Ritters, der den Wassermann besiegt hatte, als neuen Herrn der Burg ein. Der ältere verzichtete auf alle Ansprüche und wollte auf die Wanderschaft gehen. Er war es gewesen, der damals durch den Diebstahl des Goldstücks den Untergang der Burg heraufbeschworen hatte. Arinia jedoch, die ja einen entscheidenden Anteil am Sieg über den gefährlichen Wassergeist hatte, belohnte er mit einem großen Beutel voll Golddukaten und erhob sie zur Gräfin über die ganze Gegend. Langsam kehrte wieder Ruhe ein in dem Land, das der Wassermann all die Jahre in Angst und Schrecken versetzt hatte. Die Menschen trauten sich, an dem Gewässer zu rasten und im See zu baden. So gingen die Jahre dahin, in denen alle zusammen in Glück und Zufriedenheit lebten. Als der junge Ritter in das heiratsfähige Alter kam und selbst seine Burg in Besitz nahm, verliebte er sich in die junge Gräfin Arinia, heiratete sie und regierte noch lange Zeit mit ihr zusammen das Land. Doch das ist eine andere Geschichte.

Autor unbekannt

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